FG Deutsch-Spanische Musikbeziehungen
Musiktransfer zwischen Spanien und Italien
Donnerstag, 4. November 2010
9.00 - 17.00 Uhr
Deutsche Schule Rom, Musiksaal
Programm
09.00 Spanien in Italien: Zu Johannes de Cornago und Johannes de Wreede
Cristina Urchueguía (Bern)
09.45 "Homine hispano" oder "uomo universale"? Identitätsbildung am Beispiel
von Tomás Luis de Victoria
Christiane Wiesenfeldt (Münster)
10.30 Kaffeepause
11.00 Spanische Herrschermessen als Beispiele europäischen Kulturtransfers im
16. Jahrhundert
Andrea Ammendola (Münster)
11.45 Zur Gattungsrezeption zwischen Italien und Spanien im 15. Jahrhundert
Stephanie Klauk (Saarbrücken)
12.30 Mittagspause
14.30 Mit Opern unterwegs. Ein anderes Tagebuch der Elisabeth Christine
Thomas Hochradner (Salzburg)
15.15 Music in the Service of Politics. The War of the Spanish Succession in
Roman Music (1701-1714)
Aneta Markuszewska (Warschau)
16.00 Werkstattbericht:
Luis de Góngora 1927: zur musikalischen Rezeption
Christine Faist (Heidelberg)
Open End:
Schlussdiskussion und gemeinsames Abendessen
Abstracts
Cristina Urchueguía (Bern): Spanien in Italien: Zu Johannes de Cornago und Johannes de Wreede
Von Anbeginn hat die akademische Musikwissenschaft jedes Landes der Musik „ihrer“ Komponisten besondere Bedeutung zugemessen. Die Fragen nach Nationalstil, Nationalcharakter sind in zahlreichen Studien thematisiert worden. Nun war im 15. Jahrhundert die Grenze Spaniens aber nicht mit der heutigen Demarkation identisch: Weite Gebiete Italiens befanden sich nämlich unter aragonesicher Herrschaft. Ferdinand I, der spätere Katholische König, regierte über Neapel und Sizilien u.a. Gebieten im Mittelmeerraum. Der aragonische Hof in Neapel bildete einen Brückenkopf, der den Austausch von Musik und Kunst begünstigte. Johannes Cornago und andere Spanier verbrachten einen Teil ihre Lebens in Italien, aber auch Werke von Komponisten, die in Spanien tätig waren, gelangten nach Italien. Johannes Cornago und Johannes de Wreede machten ihre musikalische Grand Tour auf unterschiedliche Weise und verkörpern die Offenheit des europäischen Kulturraumes im 15. Jh. Diese beiden Grenzgänger sollen uns Hinweise auf typische Transferstrategien zwischen Italien und Spanien liefern.
Christiane Wiesenfeldt (Münster): "Homine hispano" oder "uomo universale"? Identitätsbildung am Beispiel von Tomás Luis de Victoria
Dass sich die Identität des Komponisten im Humanismus herausbilde, dass er sich spätestens hier von Institutionen löse und sich als Künstler qua „ingenium“ von allen irdischen Bindungen emanzipiere, ist spätestens seit Jacob Burckhardt ein liebevoll gepflegtes Geschichtsbild der Renaissance-Forschung. Wie diese Identitätsbildung jedoch vonstatten ging, in welchen Kontexten, unter welchen Bedingungen und mithilfe welcher Kunstwerke sie sich vollzog, haftete bislang eher an unhinterfragten Meta-Narrativen statt am konkreten Beispiel. Ein Blick auf den spanischen Renaissance-Komponisten Tomás Luis de Victoria (ca. 1548–1611) verspricht hier gleich aus mehreren Blickwinkeln näheren Aufschluss, standen doch sowohl seine Biographie als auch sein Schaffen unter stetigem Verortungsdruck: Einerseits wurde er jesuitisch geschult und katholisch getauft, unterrichtete als Spanier in Rom am päpstlich approbierten „Collegium Germanicum“ deutsche Studenten und kehrte für die letzten 25 Jahre seines Lebens nach Spanien zurück, wo er in weltliche Dienste genommen wurde. Andererseits zeigen seine vier großen Messbücher und das zuletzt publizierte „Officium Defunctorum“ (1605) einen seine nationalen und institutionellen Bindungen zunehmend ausblendenden Komponisten, der – sofern man das überlieferte Schaffen als vollständig ansehen darf – mit dem „Offizium“ einen ebenso hochgradig komplexen wie deutungsschweren Doppelstrich unter sein Lebenswerk zieht. Komponiert hier bereits ein „uomo universale“? Dieser Frage und der Frage nach ihrer Relevanz für die Untersuchung von Renaissance-Komponisten generell soll in dem Vortrag auf den Grund gegangen werden.
Andrea Ammendola (Münster): Spanische Herrschermessen als Beispiele europäischen Kulturtransfers im 16. Jahrhundert
Josquin Desprez‘ Missa Hercules Dux Ferrariae ist ein vorzügliches Beispiel für eine gelungene grenzüberschreitende Verbreitung eines Kompositionsmodells. Im Hinblick auf den spanischen Raum will der Vortrag die beiden Philippus-Messen von Bartolomé Escobedo und Philippe Rogier in ihrem Kontext und ihrer Beziehung zu Josquins Messe in den Blick nehmen. Während der Flame Rogier am spanischen Hof Philipps II. als Sänger und Kapellmeister wirkte, steht insbesondere Escobedo für einen personellen und kompositorischen Kulturtransfer zwischen Italien und Spanien. Er emigrierte aus Spanien und diente in Rom am päpstlichen Hof, wo seine Philippus-Messe als Unikat in einem Manuskript der Biblioteca Apostolica Vaticana überliefert ist (Ms. 39). Aus diesem dichten Beziehungsgeflecht auf musikalischen und dynastischen Ebenen zwischen dem frankoflämischen Raum, Spanien und Italien lassen sich Aussagen zum europäischen Kulturtransfer im 16. Jahrhundert ableiten.
Stephanie Klauk (Saarbrücken): Zur Gattungsrezeption zwischen Italien und Spanien im 15. und 16. Jahrhundert
Die politischen Verbindungen zwischen Italien und Spanien im 15. und 16. Jahrhundert bedingten auch ihre kulturellen Beziehungen. Es fand sowohl ein 'Austausch' von Musikern und Dichtern, als auch der ihrer Werke statt. Im Vortrag wird jedoch nicht auf die Rezeption einzelner Komponisten oder Kompositionen eingegangen werden, sondern es sollen verschiedene Aspekte der (wechselseitigen) Rezeption und Assimilation von zeitgenössischen spanischen und italienischen Vokalgattungen - Ballata, Villancico, Frottola und Madrigal - beleuchtet werden.
Thomas Hochradner (Salzburg): Mit Opern unterwegs. Ein anderes Tagebuch der Elisabeth Christine
Als unter mehreren Kandidatinnen schließlich Elisabeth Christine von Braunschweig-Wolfenbüttel als künftige Gemahlin Erzherzog Karls ausgewählt wurde, stand ihr eine lange Reise bevor. Über Wien, wo die Trauung "per procuram" vollzogen wurde und Kaiser Joseph I. seinen jüngeren Bruder vertrat, erreichte sie nach immer wieder hinausgeschobener Abreise schließlich Barcelona, wo ihr Gatte seine Residenz als habsburgischer Gegenkönig aufgeschlagen hatte. Bis 1711, als Karl durch die Nachricht vom Ableben seines Bruders zur Kaiserwahl nach Frankfurt abreiste, entspann sich ein höfisches Musikleben, dann brach es ab. Erst 1713 folgte Elisabeth Christine ihrem Gemahl in die kaiserliche Residenzstadt Wien. Alle Wege der jungen Regentin wurden von musikalischen Aufführungen gesäumt, deren Folge, Zusammenhang und Stellenwert im Rahmen dieses Referates vorgestellt bzw. diskutiert werden.
Aneta Markuszewska (Warschau): Music in the Service of Politics. The War of the Spanish Succession in Roman Music (1701-1714)
The War of the Spanish Succession that outbroke 1701 embraced many countries causing considerable changes in Europe's map. It touched profoundly territories of modern Italy and first of all weakened Rome's political position and the power of its ruler the Pope. In spite of having proclaimed himself neutral Clemens XI manifested his Franco-Spanish preferences. His attitude caused severe reprisals to the Papal State from the Emperor and revealed the real stature of the papacy in the European policy. The war found its manifestation also in music: we find traces in selected drammi per musica like Publio Cornelio Scipione (Lib. A. Piavone with music by C.F. Pollarolo and revisions for Rome by G.M. Orlandini), Lucio Papirio (Lib. by A. Salvi, Music by F. Gasparini), oratorios as Il Giardino di Rose (text attributed to Prince Ruspoli, music by A. Scarlatti), as well as in many occasional compositions promoted by the Polish Queen Maria Casimira Sobieska who took residence in Rome between 1699-1714 and other patrons. Those pieces as part of Roman feste fulfilled many functions, the most important being to boost the ruler's or patron's power. In this paper I focus on a selection of compositions staged in Rome between 1701-1714 to show how the Pope, his circle, Roman aristocracy and foreign ambassadors and residents of the Eternal City used music to express their own and their rulers' opinions. How did they propagandize Rome through the works of art? It must be stressed that commentaries to actual events were "presented" in any place - in feasts of the Accademy di S. Luca that celebrated the best painters, architects and sculptors, during the meeting of the members fo the Accademia dell'Arcadia, in the drammi per musica staged in the only public opera theatre in Rome, Teatro Capranica, during religious and occasional feste that abound in the city. The paper seeks also to answer the question which symbols were used in the Eternal city to save the myth of being the World's Capital despite the political and diplomatic defeat. Did they still permit to keep Rome's position as "del Mondo Reina"?
Christine Faist (Heidelberg): Luis de Góngora 1927: zur musikalischen Rezeption
In meinem Dissertationsprojekt, dessen aktuellen Forschungsstand ich im Kontext der Fachgruppentagung „Deutsch-Spanische Musikbeziehungen“ vorstellen möchte, beschäftige ich mich mit der Bedeutung der Lyrik des „Siglo de Oro“ für die Musik des 20. Jahrhunderts. Einen Schwerpunkt bildet hierbei die Rezeption einer der bedeutendsten spanischen Dichter des 17. Jahrhunderts: Luis de Góngora. Die musikalische Auseinandersetzung mit seinem Werk ist bislang kaum erforscht.
Luis de Góngora erfuhr im frühen 20. Jahrhundert einen regelrechten Boom. Lange Zeit unbeachtet, bemühten sich die Intellektuellen Spaniens um die Rehabilitierung des andalusischen Dichters, der in der Vergangenheit oft wegen seines komplexen und sperrig empfundenen Stils kritisiert wurde. Einen Höhepunkt dieser Auseinandersetzungen bildeten die Festlichkeiten im Jahr 1927 – Góngoras 300. Todesjahr. Einige Literaten schlossen sich zur sogenannten „Generación del 27“ zusammen, um ihrer Bewunderung für Góngora Ausdruck zu verleihen: Federico García Lorca, Rafael Alberti, Gerardo Diego und Dámaso Alonso waren hier federführende Akteure. Es entstanden neue Editionen und Studien über das Werk des barocken Dichters, ebenso Nachdichtungen und zahlreiche Gedichte, inspiriert von Góngoras metaphorischer und sensorialer Sprachgewalt.
Die Rezeption sollte sich allerdings nicht nur auf die Literatenkreise beschränken. Neben Bildenden Künstlern lieferten auch einige Komponisten ihren Beitrag zu Góngoras Gedenkfeier. Es entstanden Werke unterschiedlichster Gestalt; von Fernando Remachas Orchestersuite „Homenaje a Góngora“ bis hin zu Manuel de Fallas geradezu minimalistischen „Soneto a Córdoba“, das in diesem Vortrag näher betrachtet werden soll.
Gerade Falla nimmt im Musikleben der 1920er Jahre eine besondere Stellung ein. Nicht nur für die nachfolgende Komponistengeneration war er Lehrer und großes Vorbild, auch die jungen Literaten sahen in ihm einen bedeutenden Vertreter der Moderne.
Als „modern“ wurde auch die Lyrik Góngoras empfunden. Seine Verskunst wurde zum Sinnbild „objektiver Schönheit“ (García Lorca) stilisiert.