FG Frauen- und Genderstudien
»Dahin!...« Musikalisches Reiseziel Rom. Projektionen und Realitäten im ›langen 19. Jahrhundert‹
Freitag, 5. November 2010
9.00 - 18.00 Uhr
DHI Rom, großer Vortragssaal
Programm
09.00 Eröffnung, Begrüßung und Einführung
Rebecca Grotjahn (Detmold/Paderborn), Sabine Meine (Hannover)
I: Rom als Wahlheimat europäischer MusikerInnen - Erwartungen, Erfahrungen, Erinnerungen
09.20 Mode, Pflicht und andere Neigungen. Zum Problem der Gattung
Reiseliteratur im 19. Jahrhundert
Gerhard Lauer (Göttingen)
09.40 »Though English not an infidel «: Britinnen in Rom zwischen Salon und
Sixtina
Barbara Eichner (London)
10.00 Vom Sehnsuchts- zum Erinnerungsort: Fanny Hensels Rom
Cornelia Bartsch (Detmold/Paderborn)
10.20 Diskussion
10.50 Kaffeepause
II: Einblicke in Roms Musikleben zwischen Archivalien, zeitgenössischer Presse und Kompositionen
11.20 Quando le fonti sgorgano copiose: metodologia di una ricerca sulle attività
concertistiche nella Roma dell'Ottocento
Cristina Cimagalli (Campobasso)
11.40 Rome vue par les Français: Rompreisstipendiaten, Revue musicale und
das römische Musikleben im 19. Jahrhundert
Nicole K. Strohmann (Essen/Paris)
12.00 Liszt e Roma: un difficile incontro sul campo della musica corale
Antonio Rostagno (Rom)
12.20 Diskussion
13.00 Mittagspause
III: Musik in römischen Salons
14.30 La musica nel salotto romano di Laura Minghetti
Bianca Maria Antolini (Rom)
14.50 Musik im deutsch-römischen Salon Nadine Helbigs
Sabine Meine (Hannover)
15.10 Musik im interkulturellen Kontext des jüdischen Salons. Zum Weg der
Mäzenin Henriette Hertz (1846-1913) von Köln in den römischen Palazzo Zuccari
Klaus Wolfgang Niemöller (Köln)
15.30 Diskussion
16.00 Pause
IV: Fluchtraum Rom im 20. Jahrhundert
16.30 »Es gab also doch eine bessere Welt!« - Italien als Fluchtraum für
deutsche Künstler in den 1950er Jahren am Beispiel Hans Werner Henzes
Antje Tumat (Heidelberg)
16.50 Das klassische Altertum und die Neue Musik. Italien als Sehnsuchtsland
und das künstlerische Selbstverständnis amerikanischer Komponisten in der American Academy in Rom vor und nach dem zweiten Weltkrieg
Dörte Schmidt (Berlin)
17.10 Diskussion
V: Römisches Musikleben im ›langen 19. Jahrhundert‹ als Feld für die Genderforschung
17.30 Impulsreferat
Rebecca Grotjahn (Detmold/Paderborn)
Abschlussdiskussion
Abstracts
Gerhard Lauer (Göttingen), Impulsreferat: Mode, Pflicht und andere Neigungen. Zum Problem der Gattung Reiseliteratur im 19. Jahrhundert
Von Wilhelm Müllers romantischer Briefsammlung »Rom, Römer und Römerinnen« über Humboldts naturkundliche Reiseaufzeichnungen bis zu Fontanes ernüchternden Tagebüchern über seine Italienreise, von Justinus Kerners »Reiseschatten« des Schattenspielers Luchs über Mendelssohns italienische Briefe bis zu Karl Mays abenteuerlichen Reiseerzählungen ist die Reiseliteratur eine der Leitgattungen für die Ästhetisierung der bürgerlichen Welt des 19. Jahrhunderts. Der Beitrag untersucht Funktionen und Typologie dieser Gattung mit Blick auf das musikalische Reiseziel Rom. Im Mittelpunkt steht die Pluralisierung der Gattung, ihr Funktionswandel und ihre methodische Erschließung.
Barbara Eichner (London): »Though English not an infidel«: Britinnen in Rom zwischen Salon und Sixtina
Unter den zahlreichen Touristinnen, die Rom in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufsuchten, waren Engländerinnen und Irinnen besonders gut vertreten, wobei viele ihre Reisen in bisher kaum ausgewerteten Tagebüchern und Briefausgaben dokumentierten. Während die Mehrzahl der reisenden Damen vom zeitgenössischen Musikleben Roms kaum Notiz nahm, bildete der obligatorische Besuch der päpstlichen Zeremonien stets einen Höhepunkt der Reise, denen die meist streng protestantischen Britinnen aber oft verständnislos bis abschätzig gegenüberstanden. Eine Ausnahme bildete die gebürtige Engländerin Frances Waddington. Von 1817, als sie den preußischen Gesandten in Rom, Christian Carl Josias Bunsen, heiratete, bis zu ihrer Abreise 1838 förderte sie nicht nur energisch den Aufbau der kleinen protestantischen Gemeinde in Rom (mit eigener Liturgie), sondern machte ihr Haus auch zu einem kulturellen Zentrum, das zahlreiche reisende Musiker wie Felix Mendelssohn Bartholdy und Sigismund Neukomm anzog und einen Rahmen für die Wiederaufführung alter Kirchenmusik bildete.
Cornelia Bartsch (Detmold/Paderborn): Vom Sehnsuchts- zum Erinnerungsort: Fanny Hensels Rom
Italien, insbesondere Rom, war für Fanny Hensel geb. Mendelssohn Bartholdy ein Ort, an dem gleich mehrere Sehnsüchte einander kreuzten. Johann Wolfgang von Goethe prägte nicht nur das Italienbild ihrer Zeit, sondern war für ihre jüdische Familie Mendelssohn darüber hinaus eine Referenzfigur, die für eine geistige Heimat stand, als die gesellschaftliche Heimat sich immer wieder als brüchig erwies. Die Reise des Bruders zum Verfasser der Italienischen Reise im Jahr 1821 war das erste auch nach außen sichtbare Zeichen dafür, dass seiner künstlerischen Entwicklung eine andere Bedeutung beigemessen wurde als der ihren. 1822, während der Schweizer Reise, stand die 16-jährige Fanny Mendelssohn an der Grenze zu dem Land, in das ihr heimlich Verlobter, der Maler Wilhelm Hensel, wenig später gehen sollte, um dort - wie acht Jahre später ihr Bruder Felix - seine Ausbildung zu vervollkommnen. Italien war für Fanny Hensel also auch das Land in das die ihr nächststehenden Personen sich auf dem Weg in die Professionalisierung entfernten - ein Ort der Sehnsucht für unbegehbare Lebenswege.
Fanny Hensels eigene Italienreise des Jahres 1839/40 gilt als Wendepunkt in ihrem künstlerischen Leben. Die Anerkennung durch die Stipendiaten der Villa Medici in Rom, die sie mit der Musik Bachs und Beethovens bekannt machte und denen sie auch eigene Kompositionen vorspielte, trug nicht zuletzt zur künstlerischen Unabhängigkeit vom Bruder bei. Ungeachtet der musikalischen Rückständigkeit Italiens war der Romaufenthalt des Winters 1839/40 für sie ein Ort intensivsten künstlerischen Austauschs, der sich vor allem in privat-öffentlichem Rahmen, bei informellen Treffen oder gemeinsam unternommenen Ausflügen mit künstlerischen Wettbewerben vollzog und in dem Musik ein Kommunikationsmittel war. Nach der Rückkehr nach Berlin nehmen zwei große gemeinsam mit dem Ehemann Wilhelm Hensel produzierte Reinschriften, das Italienische Reise-Album und der Klavierzyklus Das Jahr, musikalisch wie zeichnerisch Italienerinnerungen auf und bewegen sich zugleich durch Anspielungen textlicher, musikalischer und bildlicher Art vielfach auf Goethes Spuren. Auch in Fanny Hensels »musikalischem Altweibersommer« - wie sie ihren letzten Sommer 1846 nannte, in dem sie sich schließlich zur Publikation einiger ihrer Kompositionen entschloss - scheint der römische Winter 1839/40 nachzuwirken. So ruft der Austausch mit dem musikalisch hoch gebildeten jungen Rechtsgelehrten Robert von Keudell Erinnerungen an die musikalischen Geselligkeiten in Rom wach.
Der Beitrag wird den in »Fanny Hensels Rom« einander kreuzenden Sehnsüchten sowie dem Wandel vom Sehnsuchtsort Rom zu einem Erinnerungsort anhand von musikalischen und biographischen Quellen nachgehen. Im Mittelpunkt werden dabei semantisierende »Korrespondenzen« verschiedener Art stehen: zwischen Texten und Musik, zwischen Musik und Zeichnungen und zu Kunstprodukten anderer.
Cristina Cimagalli (Campobasso): Quando le fonti sgorgano copiose: metodologia di una ricerca sulle attività concertistiche nella Roma dell’Ottocento
Questa relazione vuole illustrare la nascita e lo svolgimento di una ricerca che Francesca Vacca e io stiamo conducendo da vari anni per ricostruire la vita concertistica svoltasi a Roma tra il 1800 e il 1870.
Il progetto iniziale fu quello di verificare se veramente la pratica della musica strumentale a Roma nell’Ottocento fosse stata così negletta come comunemente si riteneva. Verificando la bibliografia esistente, ci si è rese conto che essa era perlopiù notevolmente datata e sovente piena di pregiudizi verso la situazione della città sotto il governo pontificio. Si è prospettata allora, come inevitabile premessa per qualsiasi ricostruzione storica della realtà musicale romana ottocentesca, la necessità di consultare direttamente le fonti primarie.
Esse sono costituite da fondi archivistici pubblici e privati di Roma (Archivio storico del Vicariato, Archivio della Direzione generale di Polizia, Archivio della Deputazione dei pubblici spettacoli, Archivio storico dell’Accademia Filarmonica Romana, Archivio storico dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia, Fondo Manifesti della Biblioteca di Archeologia e Storia dell’Arte, Archivio Sgambati della Biblioteca Casanatense, Fondo Capranica della Biblioteca del Burcardo) e dallo spoglio di giornali e riviste dell’epoca, dal «Diario Ordinario» o «L’Osservatore Romano» ai periodici di argomento artistico-culturale o più strettamente musicale. Altre fonti da consultare sono i diari e le relazioni di viaggiatori italiani e stranieri del periodo in questione.
I risultati di questo lavoro saranno i seguenti:
a. la schedatura, il più possibile analitica, di tutti gli eventi concertistici di cui si è rinvenuta traccia;
b. la trascrizione integrale di tutti gli articoli che trattano di concerti musicali apparsi sulla stampa romana tra il 1800 e il 1870 (che si spera di poter rendere disponibile agli studiosi in formato elettronico);
c. elenchi vari di autori, interpreti, istituzioni musicali, sedi concertistiche ecc.;
d. servendosi dei risultati a, b e c, si può tracciare un quadro della realtà musicale romana dell’Ottocento assolutamente inedito e che va a modificare la precedente visione della città come sonnolenta e pressoché inerte;
e. l’estensione quasi a tutto campo della ricerca permette di studiare anche pratiche musicali finora trascurate dagli studiosi: le musiche eseguite all’aperto e di libera fruizione, la musica nelle accademie culturali e negli istituti di istruzione, la prassi dell’improvvisazione poetico-musicale e così via.
Nella relazione sarà illustrato il caso concreto di una fonte sinora non studiata: il giornale romano in lingua inglese «The Roman Advertiser», il cui spoglio ha consentito di ricostruire vari concerti di cui si ignorava totalmente l’esistenza. Si verrà così a conoscenza, ad esempio, della prima esecuzione romana di una sinfonia di Beethoven e del coinvolgimento in questo e in altri eventi di una delle prime significative figure, a Roma, di pianista e di patrona di eventi musicali, Chiara Vannutelli.
Nicole K. Strohmann (Essen/Paris): Rome vue par les Français: Rompreisstipendiaten, Revue musicale und das römische Musikleben im 19. Jahrhundert
Italien galt im Frankreich des beginnenden 19. Jahrhunderts als Inbegriff eines künstlerischen Ideals. Dieses jungen begabten Künstlern »vor Ort« zu vermitteln, beabsichtigten die Verantwortlichen der Académie des Beaux-Arts, als sie 1803 den obligatorischen Romaufenthalt in der Villa Medici für die Gewinner des »Premier Prix de Rome« im Regelwerk verankerten. Das römische Musikleben im 19. Jahrhundert aus Sicht jener Rompreisstipendiaten in den Blick zu nehmen, stellt das Ziel des Referates dar. Die Eingrenzung auf die sog. »pensionnaires« erscheint dabei besonders fruchtbar zu sein, da sie den gleichen Rahmenbedingungen unterworfen waren und sich alle während ihres zwei-, später dreijährigen Romaufenthaltes mit italienischer Musik auseinandersetzen und Pflichtaufgaben erfüllen mussten, die sich auf die italienische Musikgeschichte bezogen: 1.) die Analyse eines italienischen »Meisterwerkes« auf dem Gebiet der ›Alten Musik‹, 2.) das Verfassen einer italienischen Szenenmusik auf Worte Metastasios und 3.) das Sammeln von »airs populaires les plus anciens« mit Erläuterungen zu Entstehung und Gebrauch, sofern die Stipendiaten einige Zeit in anderen Städten Italiens weilten. Auch darüber hinaus ist das Quellenmaterial außerordentlich reichhaltig, haben doch fast alle Stipendiaten ihre Rom- bzw. Italien-Erfahrungen in Briefen, Memoiren oder Reisetagebücher niedergeschrieben. So lässt sich beispielsweise feststellen, wie sich das römische Konzertleben zu jener Zeit konstituierte, welche Konzerte die Stipendiaten besuchten und an welchen musikalischen Privatveranstaltungen und öffentlichen Konzerten sie selbst beteiligt waren. Gleichwohl wird man beim Lesen dieser zeitgenössischen Dokumente auf ein Paradox treffen, das augenscheinlich eine Divergenz zwischen Projektion und Realität aufweist: Denn im Unterschied zum verklärten Italienideal, demgemäß die Romreise eine Zeit der materiellen Absicherung und der Möglichkeit, mit anderen Künstlern in direkten Kontakt zu treten, war, empfanden nicht alle Preisträger den Rom-Aufenthalt als Bereicherung. Zahlreiche Komponisten beklagten eine offenbar eklatante Rückständigkeit des römischen Musiklebens. Um dieses Phänomen weiter zu beleuchten, verspricht die Konsultation zeitgenössischer Musikzeitschriften sehr aufschlussreich zu sein. Nicht nur belegen Konzertankündigungen und Rezensionen bzw. Berichterstattungen aus Rom eine wie auch immer geartete Existenz eines Musiklebens in Rom, auch lassen sich die dort publizierten Artikel gewissermaßen den subjektiv gefärbten, zuweilen harsch und übertrieben dargestellten Romberichten der Stipendiaten kontrastierend gegenüberstellen. Insbesondere die über Jahre geführte Diskussion über den »l’état actuel de la musique en Italie«, die regelmäßig in der Revue musicale, Revue et Gazette musicale de Paris, Le Ménestrel u.a. Zeitschriften publiziert wurden und somit ein wichtiges Zeugnis über den Stand des italienischen Musiklebens darstellt, verspricht dieses Paradox auch aus musikästhetischer Sicht zu erhellen. Mit einem Untersuchungszeitraum von über 100 Jahren – von Auguste-Louis Blondeau (Prix de Rome 1808) bis Lili Boulanger (Prix de Rome 1913) – wird es möglich, nicht nur personenspezifische Italienbilder zu hinterfragen, sondern zugleich eine möglicherweise nationalfranzösische Italienwahrnehmung in den Blick zu nehmen, um Idealisierungen und Realitäten des römischen Musiklebens im ›langen 19. Jahrhundert‹ mannigfaltig zu beleuchten.
Antonio Rostagno (Rom): Liszt e Roma: un difficile incontro sul campo della musica corale
Negli anni della permanenza a Roma, Liszt compone a più riprese musica per coro a cappella. Nelle sue intenzioni non prevale l’idea di riallacciarsi a una presunta o reale tradizione secolare di musica sacra romana, ma quella di un rinnovamento del linguaggio. Liszt si muove quindi autonomamente da tradizioni o volontà storicistiche. Ciò tuttavia non deve portare alla conclusione che la musica corale fosse abbandonata dai compositori romani coevi. Anzi fra anni Sessanta e Novanta dell’Ottocento molti validissimi compositori romani dedicano ampio spazio alla musica per coro a cappella o con accompagnamento di organo, di quartetto, o di grande orchestra; fra essi ricordo, per esempio, Giovanni Sgambati, Eugenio Terziani, Alessandro Orsini, Ciro Pinsuti ed altri presenti nelle biblioteche romane.
Questo ampio repertorio, oggi del tutto dimenticato, merita attenzione e permette di meglio inquadrare l’attività di Liszt e di altri musicisti forestieri allora attivi in Italia in questo stesso campo, come soprattutto Jessie Laussot.
Bianca Maria Antolini (Rom): La musica nel salotto romano di Laura Minghetti
Negli ultimi decenni dell’Ottocento uno dei più importanti salotti romani (e un salotto molto rinomato anche per la musica) fu quello di Laura Minghetti, moglie dal 1864 di uno dei più importanti uomini politici italiani, il capo della Destra storica Marco Minghetti. La ricerca vuole studiare il ruolo della musica nel salotto della Minghetti: con chi e come si faceva musica, quale tipo di repertorio veniva eseguito, quale funzione il salotto poteva avere nella promozione degli/delle interpreti, sia professionisti sia dilettanti, ecc. Fonte della ricerca saranno specialmente diari ed epistolari, ma anche la stampa quotidiana e periodica.
Sabine Meine (Hannover): Musik im deutsch-römischen Salon Nadine Helbigs
Nadine Helbig (1847-1922), eine russisch geborene Prinzessin Šahoskaja, kam 1865, nach Jahren der Grand tour durch Europa, nach Rom, wo sie noch im selben Jahr Franz Liszt und dessen römischen Kreis kennen lernte, der ihren Salon maßgeblich prägen sollte. Sie hatte zuvor in Dresden und Baden-Baden durch Klavierstunden bei Clara Schumann ein deutsch geprägtes musikalisches Repertoire kennen gelernt, das in Rom noch weitgehend unbekannt war. 1866 heiratete sie den Archäologen Wolfgang Helbig, mit dem sie fast zwei Jahrzehnte, bis 1887, in der Casa Rupe Tarpea des »instituto [sic] di corrispondenza archeologica« und damit in Nachbarschaft zu Franz Liszts römischem Wohnort sowie zu führenden preußischen bzw. deutschen Institutionen auf dem Rücken des »deutschen Kapitols« lebte, dessen Musikleben sie entscheidend belebte. Eine Fülle an Alltagsquellen dokumentiert Nadine Helbigs intensiven musikalischen Austausch mit dem Diplomaten Robert von Keudell, der im Palazzo Caffarelli der deutschen Gesandtschaft bzw. Botschaft ebenso als Pianist und Förderer deutscher Kammer- und Chormusik (besonders von Felix Mendelssohn, Franz Schubert und Ludwig von Beethoven) agierte. In ihrer späteren Wirkungszeit, nach dem Umzug des Salons in die Villa Lante auf dem Gianicolo 1887, wurde Nadine Helbig von Rom-Reisenden wie Romain Rolland und Malwida von Meysenbug besonders mit der ebenso fortschrittlich wie kunstreligiös konnotierten neudeutschen Musik Franz Liszts und Richard Wagners assoziiert. Bestärkt durch die fromme, wohltätige Haltung der Salonnière wie auch die idyllische, abgelegene Lage ihres Salons, entsteht der Eindruck eines idealisierten, arkadischen Ortes, der somit ein kontrastierendes Pendant zum mondäneren Salon Laura Minghettis bildet.
Klaus Wolfgang Niemöller (Köln): Musik im interkulturellen Kontext des jüdischen
Salons. Zum Weg der Mäzenin Henriette Hertz (1846–1913) von Köln in den
römischen Palazzo Zuccari
Bereits die namensgleiche Berliner Salonière Henriette Hertz (1764–1847) hatte um 1800 gezeigt, dass zu den Abendunterhaltungen neben der geselligen Konversation über Kunst literarische Lesungen und auch musikalische Darbietungen gehörten, besonders am Klavier, mit dem Henriette Hertz selbst bereits achtjährig öffentlich aufgetreten war. Ihren Gast, den nunmehrigen preußischen Gesandten Wilhelm von Humboldt besuchte sie 1817–1819 in Rom. Wie noch bei den späteren Berliner Salons von Amalie Beer und Minna Meyerbeer gehörten – ähnlich wie in Paris – stets Musiker und Komponisten zu den Gästen im Salon.
In diese europäische Salonkultur fügte sich bereits mit Sibylla Mertens-Schaafhausen eine jüdische Wahlrömerin aus Köln, die zwischen 1844 und 1857 im Palazzo Poli einen vielbesuchten Salon unterhielt, der sie schon in Bonn als »Rheingräfin« berühmt gemacht hatte. Sibylla Schaafhausen war selbst eine begabte Musikerin, Pianistin, Komponistin und Musikmäzenin.
Die Wahlrömerin Henriette Hertz (1846–1913) aus Köln war ebenfalls Tochter einer jüdischen Bankiersfamilie und brachte ihre Musikinteressen in ihren späteren Jahren ebenfalls nach Rom in ihren Salon im Palazzo Zuccari. Der Palazzo, in dem sie 1890 zunächst eine Etage gemietet hatte, wurde ihr 1904 von ihrem Freunde Ludwig Mond, Chemie-Industriellen in England, zum Geschenk gemacht. Seine Frau Frida war seit Kölner Schultagen Henriettes beste Freundin. Henriette regte sie auch an, in England Gesellschaften für Literaten, Maler und Musiker zu geben, so spielte dort 1883 Max Bruch. Das Vermächtnis des Palazzo Zuccari an die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft Berlin und die Grundstocklegung der Bibliotheca Hertziana 1912 ist von historischem Rang. Aber auch in Rom kam sie Ihrer Musikleidenschaft nach, nicht nur mit Konzerten etwa der Violinistin Teresa Tua in ihrem Salon oder oder der Gala zu Ehren von Siegfried Wagner, sondern auch mit der Stiftung des Baues der »Sala Bach« nach Plänen des Komponisten Alessandro Costa, dem Gründer der römischen Bach-Gesellschaft.
Zur näheren Bestimmung dieser musikalischen Salonkultur ist sicherlich die Beziehung zum Leiter des Deutschen Archäologischen Instituts Wolfgang Helbig und seiner Frau Prinzessin Nadine, einer russischen Pianistin, wesentlich. In der Festschrift zu Helbigs 60. Geburtstag 1899 veröffentlichte sie einen Beitrag zu dem Freskenzyklus, der einstmals Helbigs Villa schmückte und 1891 als Schmuck in den Speisesaal der Villa Zuccari gekommen war. Mit der Tochter Lili Morani-Helbig unternahm Henriette Hertz u.a. 1894 eine Kunstreise.
Antje Tumat (Heidelberg): »Es gab also doch eine bessere Welt!« – Italien als Fluchtraum für deutsche Künstler in den 1950er Jahren am Beispiel Hans Werner Henzes
»Schauen sie, wie ich wohne: Vor den Toren Roms, unweit der Sommerresidenz des Papstes, westlich der Blick aufs Meer«, schwärmt Hans Werner Henze in einem Interview 2001 über seinen erwählten Wohnort in der römischen Campagna. Die autobiographischen Erinnerungen des Komponisten lassen sich als eine einzige Liebeserklärung an Italien lesen, an »die andere, meiner Kultur entgegen gesetzte Welt«. Henze hatte 1953 seinen Lebensmittelpunkt nach Ischia, später dann nach Neapel und Rom verlegt. Dort lebte und arbeitete er zeitweise zusammen mit Ingeborg Bachmann, für die das »erstgeborene Land« (Bachmann) gleichfalls ihre Wahlheimat geworden war. Dem geschilderten »Glücksgefühl« in dieser »besseren Welt« steht Henzes Erleben der Bundesrepublik in den 1950er Jahren entgegen: »Amisoldaten überall. Adenauer. Eine Frau in Konstanz erhob Anzeige gegen die Schwulen im Deutschen Theater«. Als Homosexueller war der Komponist in der Bundesrepublik der Nachkriegszeit gesellschaftlicher Außenseiter. Zudem fühlte er sich hier als künstlerischer Einzelkämpfer, der nie zur Avantgarde um Karlheinz Stockhausen oder Pierre Boulez gehörte. Henze selbst positionierte sein Werk ästhetisch vor allem im Anschluss an die italienische Musiktradition. Diese Selbstpositionierungen sollen für seine Opern der 1950er Jahre hinterfragt werden. Gleichfalls wird für die untersuchten Werke ein möglicher Zusammenhang von Henzes gesellschaftlicher Außenseiterrolle als Homosexueller mit der Wahl seiner Sujets und deren jeweiliger kompositorischer Umsetzung diskutiert.1
1Alle nicht gesondert gekennzeichneten Zitate aus: Hans Werner Henze, Reiselieder mit böhmischen Quinten, Frankfurt 1996.
Dörte Schmidt (Berlin): Das klassische Altertum und die Neue Musik. Italien als
Sehnsuchtsland und das künstlerische Selbstverständnis amerikanischer
KomponistInnen in der American Academy in Rom vor und nach dem zweiten
Weltkrieg
Italien spielt in der kulturellen Neuorientierung des amerikanischen Musiklebens nach dem ersten Welt eine bedeutende Rolle. Die Einrichtung des mit einem Fellowship verbundenen Rom-Preises auch für Komposition ab 1924 ist dafür ein wichtiges Signal, er macht die amerikanische Akademie in der Villa Aurelia zu einem Zentrum musik-kulturellen Austausches mit Europa auf gleichsam »arkadisch« exterritorialem Boden (das unterscheidet Rom etwa von Paris). Dass der geschützte Raum einer Akademie und solche Exterritorialität auch die genderspezifischen Bedingungen der Künstlerexistenz (aber auch die Spielräume der mitreisenden Ehefrauen) beeinflusst, lässt sich bereits im 19. Jahrhundert deutlich beobachten. Beleuchtet man diese spezifische Situation mit dem Beginn des Musikprogramms der römischen Akademie unter den Bedingungen der 1920er und -30er Jahre, so ist zunächst vor allem der Vergleich mit dem dort traditionell vertretenen akademischen Umfeld der Archäologen, die in den 1920er Jahren durchaus regelmäßig auch Frauen förderten,2 wie den Gebieten der Bildenden Künste und der Architektur aufschlussreich.3 Blickt man auf die sehr veränderte Lage nach dem Zweiten Weltkrieg, in der Italien insgesamt, aber auch die Akademie zu einen politischen wie gesellschaftlichen Fluchtraum vor den Repressalien der McCarthy-Ära wird, die auch die explizite Verfolgung Homosexueller einschloss, so weitet sich die Perspektive auf die hier möglichen genderspezifischen Handlungsräume noch einmal.
2Rompreisträgerinnen waren etwa: 1923 Ernestine Franklin Leon, 1925 Marion Elizabeth Blake, 1926 Lilian Beatice Lawler und Inez Gertrude Scott Ryberg etc.
3Der erste Rompreis an eine Komponistin ging 1971 an Barbara Kolb, die ihn 1976 erneut erhielt.
Rebecca Grotjahn (Detmold/Paderborn): Impulse zur Diskussion
Im Verlauf des gesamten Symposions werden sämtliche Referate und Diskussionen von der Leiterin der Abschlussdiskussion systematisch unter der Perspektive der Genderforschung beobachtet und protokolliert. Im Impulsreferat wird sie ihre Beobachtungen bündeln und einige zentrale Punkte spontan für die Diskussion aufbereiten. Wenn auch nicht vorausgesagt werden kann, welche sich im Verlauf der Veranstaltung besonders herauskristallisieren werden, ist doch bereits abzusehen, dass das gewählte Thema der musikwissenschaftlichen Genderforschung eine Reihe von Impulsen geben kann. Dies betrifft beispielsweise die folgenden Aspekte:
• Zusammenhang der Konstruktionen von Gender- und nationalen Identitäten. Nicht nur im 19. Jahrhundert wird Genderidentität immer auch als auch nationale Identität konstruiert und umgekehrt. Wie wirkt sich die Vorstellung etwa einer ›deutschen Weiblichkeit‹ auf die Rombilder reisender Frauen und Männer aus? Und welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang wiederum Religiosität und Konfessionalität?
• Frauen als Akteurinnen der Musikgeschichte. Hier ist die überholte Dichotomie öffentlich versus privat weiter auszudifferenzieren: Ist die notorische Geringschätzung des römischen Musiklebens durch die Musikgeschichtsschreibung nicht auch dadurch bedingt, dass den öffentlichen Institutionen Vorrang vor den weniger männerdominierten öffentlichen und halböffentlichen Räumen für Musik eingeräumt wird? Und was lehrt uns diese Einsicht für die Einschätzung des Musiklebens anderer europäischer Städte und Regionen?
• Erfahrungen männlicher Reisender als spezifisch maskuline Erfahrungen. Die Auslandsreise war in den höheren Gesellschaftsschichten Mitteleuropas schon seit langem eine zentrale Phase der Herausbildung einer maskulinen Identität, in der die Erfahrung persönlicher Unabhängigkeit, der Erwerb interkultureller Kompetenzen, das Knüpfen beruflich verwertbarer Kontakte und nicht zuletzt erotische Erlebnisse von großer Bedeutung waren. Können beispielsweise Romstipendien als eine Art institutionalisierte Fortsetzung der Kavalierstouren früherer Jahrhunderte aufgefasst werden?