Sektion V: Musik, Politik, Zeitgeschichte
Freitag, 5. November 2010
09.00 - 13.00
DHI, Musikgeschichtliche Abteilung, Lesesaal
Programm
09.00 Die Werte Arkadiens zwischen Ästhetik und Politik in der
mitteleuropäischen Frauenkomposition des 18. Jahrhunderts
Mariacarla De Giorgi
09.30 »Wo etwas grüßt, muss man wieder grüßen«: Das russische Musikleben in
Berlin in den zwanziger Jahren
Annamaria Fortunova
10.00 Das musikalische Leben im Italien Mussolinis im Spannungsfeld zwischen
Kompromiss und Konflikt
Minari Bochmann
10.30 Kaffeepause
11.00 »Nichtarische« Studierende der Hochschule für Musik in Berlin 1933–1945
Franziska Stoff
11.30 »…die Enzyklopädie auf die Grundlage weitester internationaler
Zusammenarbeit zu stellen«. Exilierte Musikwissenschaftler als Mitarbeiter an der MGG
Philine Lautenschläger
12.00 Musikausbildung im geteilten Berlin nach 1945 – Die Situation der
Musikhochschulen zwischen Neuanfang und Kontinuität
Cordula Heymann-Wentzel
Abstracts
Mariacarla de Giorgi (Salerno): Die Werte Arkadiens zwischen Ästhetik und Politik in der mitteleuropäischen Frauenkomposition des 18. Jahrhunderts
Der Vortrag setzt sich als Ziel, die Wirkung der römischen Arkadia auf einen nördlich der Alpen von »Frauen an der Macht« vertonten Typus von Opera seria in der Mitte des 18. Jahrhunderts zu zeigen.
Ausgehend von einer stilistisch-musikalischen und inhaltlichen Analyse der Werke, die den unterschiedlichen Kontext berücksichtigt, in dem die einzelnen Komponistinnen wirkten, lässt sich ein Bild entwerfen, das von Maria Teresa Agnesi Pinottini (1720-1795) zu Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth (1709-1758), von Kurfürstin Maria Antonia Walpurgis von Sachsen (1724-1780) zu Herzogin Anna Amalia von Braunschweig-Wolfenbüttel reicht. Aus dem Vergleich der Opern und Komponistinnen ergibt sich eine Verbindung der ästhetisch-literarischen, von der »Accademia dell'Arcadia« diktierten Ideale, die immer wieder die aufgeklärte Haltung dieser gebildeten »Frauen an der Macht« unter Beweis stellt.
Anna Fortunova (Hannover): »Wo etwas grüßt, muss man wieder grüßen«: das russische Musikleben im Berlin der 20er Jahre
Die Themen der Wanderung und des Reisens waren für die russische Mentalität und die russische Kultur schon immer sehr wichtig. Doch nach der Oktoberrevolution 1917 war die Zahl der unfreiwilligen Auswanderer so hoch wie nie zuvor. Dies waren Emigranten, die ihre Heimat verlassen mussten und gezwungen waren ein neues Leben im Ausland aufzubauen. Ein Fünftel von ihnen lebte in Deutschland und mehr als ein Zehntel, also über 300.000, Anfang der 1920er Jahre in Berlin, weshalb die Stadt damals auch die »dritte Hauptstadt Russlands« genannt wurde.
Es gab in Berlin eine besondere Gruppe von Menschen, die ihre Heimat trotz ihres politischen Engagements und besonderer Heimatverbundenheit verlassen hat. Es geht hier um die sogenannte Intelligenzija. Warum sind sie geflohen, obwohl das für sie besonders schwer und tragisch sein musste? Viele Künstler verließen ihre Heimat aus dem Grund, dass es in den neuen gesellschaftlichen Verhältnissen nach der Revolution keine Möglichkeit mehr für sie gab, ihre Kunst frei auszuüben. Dazu gehörten Komponisten, Regisseure, Dirigenten, Schauspieler, Schriftsteller, Maler, Sänger, Interpreten etc. Ein Zitat Sergei Rachmaninows bringt diese Unfreiheit in der Heimat deutlich zum Ausdruck: »Sogar bei Nikolaus dem Zweiten fühlte ich mich freier als jetzt , und jetzt klingt das Wort »Freiheit« wie Spott«.
Vieles aus dem Leben russischer Emigranten in Berlin ist gut erforscht. So gut wie nichts ist jedoch über das russische Musikleben Berlins zu finden, obwohl es zweifellos von großer Bedeutung war. Dies wird allein schon an den renommierten Namen der Künstler, die in Berlin wirkten, deutlich: Alexander Glazunow, Sergei Rachmaninov, Nikolaj Medtner, Igor Stravinski, Sergei Prokofjew, Fedor Schaljapin, Sergei Kussewizki, Gregor Piatigorsky u.a.
Wer waren die Hauptpersonen des russischen Musiklebens in Berlin? Welche Verbindungen und Kontakte existierten zwischen russischen und deutschen Künstlern in Berlin? Was hatte das russische Musikleben in Berlin für die deutsche Hauptstadt und für das ganze Land für eine Bedeutung? Diese und andere Fragen über das russische Musikleben im Berlin der 20er Jahre stehen im Mittelpunkt des Vortrags.
Minari Bochmann (Halle): Das musikalische Leben im Italien Mussolinis im Spannungsfeld zwischen Kompromiss und Konflikt
Bis 1937 vertrat das Regime das ursprüngliche Interesse des italienischen Faschismus und versuchte, alle möglichen musikalischen Stilrichtungen an ihn zu binden. Die Umbenennung des Ministero per la Stampa e la Propaganda in Ministero della Cultura Popolare machte bereits offensichtlich, dass der italienische Faschismus sein Interesse auf die Verbreitung der »völkischen Kultur« verlagerte. Die dort behandelte Rassenfrage erstreckte sich aber bald auch auf die Frage nach dem kulturellen Primat Italiens und auf die Vorführung seiner »kulturpolitischen Eigenständigkeit« gegenüber dem »Dritten Reich«. Der Vortrag wird sich mit den Fragen befassen, welche Entfaltungsmöglichkeiten die rein machtpolitisch motivierten Entscheidungen der faschistischen Machthaber für den Bereich der Musik in Italien boten und welche Rolle die Kunstpolitik des »Dritten Reichs« für die Musikentwicklungen Italiens spielte.
Franziska Stoff (Berlin): »Nicharische« Studierende der Hochschule für Musik in Berlin 1933-1945
Im Referat soll neben einer kurzen Erläuterung der Sonderstellung der Kunsthochschulen innerhalb der »Erlasslandschaft« Nazideutschlands dargestellt werden, wie als »nichtarisch« stigmatisierte Studierende in der Hochschule behandelt wurden und wie sich diese »Behandlung« im Verlauf der nationalsozialistischen Herrschaftszeit veränderte.
Zur Verdeutlichung sollen selbst hergestellte Statistiken und Diagramme herangezogen werden, die zum Beispiel die Auftrittshäufigkeit der als »nichtarisch« bezeichneten Studierenden, die Praxis der Stipendienvergabe an sie und die Abschlüsse, die sie erreichen konnten, zeigen.
Diese Darstellungen sollen jeweils durch die Erläuterung der jeweiligen Veränderungen der geltenden ministeriellen Weisungen flankiert werden, um so einem Urteil über die Position, die die Hochschule für Musik im »Dritten Reich« ihren Studierenden gegenüber einnahm, nahezukommen.
Philine Lautenschläger (Berlin): »...die Enzyklopädie auf die Grundlage weitester internationaler Zusammenarbeit zu stellen.« Exilierte Musikwissenschaftler als Mitarbeiter an der MGG
Unter den Mitarbeitern der von Friedrich Blume herausgegebenen Enzyklopädie Die Musik in Geschichte und Gegenwart befindet sich eine ganze Reihe von Emigranten, die Deutschland in den 1930er Jahren verlassen mussten und ihre Karriere im Idealfall im Ausland fortsetzten. Die im Bärenreiterverlag in Kassel aufbewahrten Korrespondenzen zwischen der Redaktion und den Emigranten geben Einblick in den nach und nach wieder aufgenommenen Dialog zwischen Dagebliebenen und im Exil lebenden Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen. Darunter sind Forscher der älteren Generation wie Curt Sachs oder Richard Engländer und solche der jüngeren wie Manfred Bukofzer oder Edith Gerson-Kiwi.
Das Referat untersucht, welches die Kriterien für die Auswahl der Mitarbeiter waren, wie die Kommunikation zwischen den Briefpartnern gestaltet ist und in welcher Weise das Exil thematisiert wurde. Auch die Frage, welche musikwissenschaftlichen Ansätze und Ideen auf diese Weise wieder nach Deutschland zurückkehrten, soll gestellt werden.
Cordula Heymann-Wentzel (Berlin): Zwischen Neuanfang und Kontinuität. Die Musikausbildung im geteilten Berlin nach 1945 an den beiden Musikhochschulen der Stadt
Die Entwicklung und Orientierung der beiden großen Musikausbildungsinstitute der Stadt nach dem Ende des II. Weltkrieges soll exemplarisch miteinander verglichen werden. Dabei steht die Entnazifizierung und Neuorientierung der Musikhochschule im Westteil der Stadt der am 1.10.1950 als »Deutsche Hochschule für Musik« neu gegründeten Hochschule der jungen DDR gegenüber. Die ehemalige »Königliche Hochschule für ausübende Tonkunst« und heutige »Universität der Künste« blickte bereits auf eine lange Tradition zurück und versuchte unter dem Direktorat von Boris Blacher den Anschluss an die Moderne zu finden. Im Ostteil wurde hingegen eine neue Ausbildungsstätte ins Leben gerufen - geleitet von den Direktoren Georg Knebler und später Eberhard Rebling, die mit dem Namen »Hanns Eisler« auch ein politisches Programm verband. Im Mittelpunkt des Vergleichs sollen die personellen Strukturen stehen, besonderes Augenmerk wird auf die zurückgekehrten Emigranten und den von ihnen initiierten Kulturtransfer gerichtet. Außerdem werden Lehrinhalte und Ausbildungsziele miteinander verglichen.
Der Vortrag ist ein erster Zwischenbericht über die Arbeit innerhalb des von Frau Prof. Dr. Dörte Schmidt geleiteten und von der DFG geförderten Forschungsprojekts: »Kontinuitäten und Brüche im Musikleben der Nachkriegszeit, Projektteil IV: Die Rückkehr von Personen, Werken und Ideen«.