Sektion IV: Musiktheater
Teil 1
Freitag, 5. November 2010
09.00 - 13.00
DHI, Musikgeschichtliche Abteilung, Sala d'Ascolto
Programm
09.00 Kastraten in Frauenrollen an römischen Theatern: Konventionen und
Wahrnehmungsparadigmen
Kordula Knaus
09.30 Neapel – Wien – Dresden: Die Commedia per musica als höfische Oper
Philipp Kreisig
10.00 Die Entwicklung der Ballettoper am Dresdner Hof und deren Einordnung in
den europäischen Raum
Uta Dorothea Sauer
10.30 »An Beobachtung der Charaktere ist da gar nicht zu denken« –
Figurenzeichnung im deutschsprachigen Musiktheater des späteren 18. Jahrhunderts
Adrian Kuhl
11.00 Kaffeepause
11.30 Verkörperungen und Rollenspiele: Die Opern- und Ariensammlung der
Erzherzogin Elisabeth von Österreich (1743–1808)
Martin Eybl
12.00 Dramaturgische Aspekte des Metamelodrammas
Linus Bickmann
12.30 »Demetrio« – Giovanni Simone Mayrs letzte Oper auf einen Text von
Metastasio
Iris Winkler
Teil 2
Freitag, 5. November 2010
15.00 - 18.30
DHI, Musikgeschichtliche Abteilung, Sala d'Ascolto
Programm
15.00 »Quanto succede qualche zuffa spaventosa qui si fa gran fracasso«.
Bühnentechnische Unterschiede von Opernaufführungen in Rom und Venedig (1726-1730)
Diana Blichmann
15.30 Italienische Opera buffa auf der Wiener Bühne (1763–1773): Präsentation
des Forschungsprojekts
Ingrid Schraffl
16.00 Italienische Opera buffa auf der Wiener Bühne (1763–1773): Zur Praxis
der Finalbearbeitungen
Martina Grempler
16.30 Kaffeepause
17.00 Nymphen, Nixen, Elementargeister. Rheinromantik in der italienischen
Oper des ausgehenden 19. Jahrhunderts am Beispiel der »Loreley« von Alfredo Catalani
Sonja-Maria Welsch
17.30 »Leben mit einem Idioten«: Eine multiperspektivische Analyse als Versuch
einer kulturgeschichtlichen Einordnung
Amrei Flechsig
18.00 Zur Rolle der Literatur im Neuesten Musiktheater. Ästhetische
Perspektiven bei Eötvös, Kalitzke und Reimann
Stephan Mösch
Abstracts
Kordula Knaus (Graz): Kastraten in Frauenrollen an römischen Theatern: Konventionen und Wahrnehmungsparadigmen
Das Auftrittsverbot für Sängerinnen auf öffentlichen Bühnen sowie die damit einhergehende Übernahme aller Frauenrollen durch Kastraten gibt den Theatern in Rom und einigen anderen Städten des Kirchenstaats im 18. Jahrhundert eine Sonderstellung in der europaweit verbreiteten Praxis der italienischen Oper. Der Vortrag möchte dies jedoch weniger unter dem Blickwinkel des Kuriosen betrachten, wie dies bereits im 18. Jahrhundert von vielen Reisenden gemacht wurde, sondern ästhetische Paradigmen, gesellschaftliche Parameter und zeithistorische Wahrnehmungsperspektiven aufarbeiten.
Zunächst werden die Besetzungskonventionen an sich in den Blick genommen und erläutert, welche Kastraten wann und wie lange Frauenrollen interpretierten. Dies gibt Aufschluss über den Spezialisierungsgrad, Hierarchisierungen bei Sängern und ästhetische Kriterien (etwa die Jugendlichkeit der Frauendarsteller). Im Anschluss werden Inhalte und Musik ausgewählter Opern im Vergleich zu Aufführungen in anderen Städten diskutiert, um zu klären, ob die Tatsache, dass Kastraten Frauenrollen sangen, auf die Werke selbst Auswirkungen hatte. In einem letzten Teil werden Rezeptionszeugnisse diskutiert, die die Anforderungen an Kastraten in Frauenrollen thematisieren.
Philipp Kreisig (Dresden): Neapel - Wien - Dresden: Die Commedia per musica als höfische Oper
In der ersten Dekade des 18. Jahrhunderts bildete sich in Neapel die Commedia per musica als erste Form der mehraktigen komischen italienischen Oper heraus. Die Commedia per musica erfuhr insbesondere während der 1730er und 1740er Jahre im Impresabetrieb Venedigs und Roms eine ausgeprägte Rezeption. Doch blieb in der Forschung bisher zumeist unberücksichtigt, dass diese Form des italienischen Musiktheaters bereits seit 1716 auch außerhalb Italiens an den Höfen zu Wien und Dresden gepflegt wurde.
Ziel des Referats ist es, am Beispiel der frühen Verbreitung in Wien und Dresden die Commedia per musica innerhalb der höfischen Musikkultur zu verorten. Insofern ist zu klären, inwieweit die neapolitanische Commedia per musica in Wien und Dresden modifiziert wurde, um sie in das höfische Zeremoniell einzubinden; dabei werden Kompositionen von Antonio Caldara, Francesco Bartolomeo Conti und Giovanni Alberto Ristori im Mittelpunkt stehen. Folgende Kriterien spielen bei dieser Untersuchung eine Rolle: Aufführungsanlass und -ort, Publikum, Sujets, formale Anlage der Libretti, Kompositionsfaktur (z.B. Einsatz der Hofkapelle, Sänger, Einbindung solistischer Ensembles und Chöre) und Bühnenrealisierung (z.B. Architekt, Szenenaufteilung, Kostüme). Auf dieser Basis ist zu klären, ob durch die höfische Kontextualisierung in Wien und Dresden aus der Commedia per musica eine »Seria« mit komischem Stoff wurde.
Uta Dorothea Sauer (Dresden): Die Entwicklung der Ballettoper am Dresdner Hof und deren Einordnung in den europäischen Raum
Im Zentrum des Referats steht die Geschichte der Ballettoper am Dresdner Hof, eine Gattung, die aus dem Ballet de cour (der Sub-Gattung Ballet à entrées) hervorging und die aufgrund des Einschlusses von Elementen der Oper, insbesondere des gesungenen Dialogs, neuartig war. Anhand einiger gattungsspezifischer Merkmale, entnommen den Libretti (etwa 40 an der Zahl) und Notenquellen, soll der Weg des Ballet à entrées zur Ballettoper skizziert werden. Dabei stellen Aspekte wie Terminologie, Gattungskriterien (Struktur, Formen, Funktionen von Balletten, Arien, Dialogen bezüglich der Handlungsvermittlung und -interpretation sowie Affektdarstellung), Herrscherlob aber auch die Vorgeschichte des Balletts und deren Entwicklungseinflüsse wichtige Diskussionspunkte dar. Anschließend werden die Vorzüge, die aus dem Zusammenwirken von Balletten und Opernszenen rekrutieren, in einer Vergleichsstudie den Charakteristika der französischen Opéra-ballets von André Campra und Pascal Collasse gegenüber gestellt.
Der Dresdner Hof weist eine lange Tradition von Aufführungen groß angelegter Bühnenstücke auf, gegeben bei speziellen Festen wie Hochzeiten, Taufen, Geburtstagen, Herrscherbesuchen und während der Karnevalszeit. Bereits ab 1550 entwickelte sich eine facettenreiche Hofkultur, die vor allem durch das Interagieren von italienischen, französischen, englischen, slawischen und deutschen Künstlern geprägt war. Wie zahlreiche Höfe in Europa zeigte auch er ab der Mitte des 17. Jahrhunderts einen ausgeprägten französischen Geschmack, der sich in der Zahl der Tanzmeister, der Instrumentalmusik und den Balletten widerspiegelt. Mit den Werken von David Schirmer (Hofpoet in Dresden 1650−1680) etablierte sich das Ballet à entrées fest im höfischen Leben. Da der Kurfürst Johann Georg II. hinsichtlich des Musiktheaters und kulturellen Geschehens an seinem Hofe eine Stilvielfalt förderte, kam es zu einer intensiven Vermischung musiktheatralischer Elemente. Die daraus resultierenden Ergebnisse zeigen sich in multikulturellen Bühnenstücken wie der Ballettoper (1678−1720).
Adrian Kuhl (Heidelberg): »An Beobachtung der Charaktere ist da gar nicht zu denken« - Figurenzeichnung im deutschsprachigen Musiktheater des späteren 18. Jahrhunderts
Die Werke des sogenannten Singspiels aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts umgibt meist der generelle Verdacht ästhetischer Belanglosigkeit. Auf den ersten Blick oft künstlerisch einfach gehalten, dazu noch auf Popularität und finanzielle Tragfähigkeit ausgerichtet, regen diese Attribute heute selten zu einer Beschäftigung mit den überlieferten Quellen an. Doch zeigt sich ein gänzlich anderes Bild auf den zweiten Blick: Im Spannungsfeld zwischen aufführungspraktischen Widrigkeiten, dem Anspruch auf Etablierung einer »nationalen Oper« und einem künstlerischen Natürlichkeitsideal entwickelt sich das deutschsprachige Musiktheater zu einem Experimentierfeld theatralen Komponierens. Die theoretischen Schriften, die die Entwicklung des Singspiels von Beginn an begleiten, zeigen hierbei, dass die zeitgenössischen Erwartungen an die künstlerische Gestaltung der Werke hoch waren. Ein Bereich, der dabei immer wieder der Kritik unterzogen wird, ist die musikalische Figurendarstellung, an der nicht nur J. Fr. Reichardt bemängelt, dass die »Beobachtung der Charaktere« oft zu nachlässig behandelt würde.
Doch wie sollte es, trotz der aufführungspraktischen Schwierigkeiten und dem angestrebten Einfachheitsideal überhaupt möglich sein, eine differenzierte Figurenzeichnung zu entwickeln? Welche künstlerischen Mittel standen den Singspielschöpfern hierfür überhaupt zur Verfügung? An Beispielen wie E. W. Wolfs »Das Gärtnermädchen« (1769), in dem u. a. ein als Gärtner verkleideter Graf und ein in Wirklichkeit adeliges Landmädchen dargestellt werden müssen, soll solchen Fragen werkanalytisch nachgegangen werden. Dabei gilt es zu zeigen, wie eng selbst im frühen Singspiel Musik, Text und Bühnendarstellung zur Figurenzeichnung ineinandergreifen konnten.
Martin Eybl (Wien): Verkörperungen und Rollenspiele: Die Opern- und Ariensammlung der Erzherzogin Elisabeth von Österreich (1743-1808)
Die Erzherzogin Elisabeth galt unter den Töchtern der Kaiserin Maria Theresia als die musikalisch begabteste. Sie erhielt Cembalounterricht bei G. Chr. Wagenseil und L. Hofmann. Ihr Gesangslehrer war der renommierte Kastrat G. B. Mancini. Bei Hoffesten übernahm die junge Frau anspruchsvolle Opernrollen. Ihre Musikaliensammlung gelangte nach einer bewegten Geschichte in die Österreichische Nationalbibliothek, wo sie heute auf verschiedene Signaturen verstreut bewahrt wird. Einzelne Stücke daraus sind der Forschung bekannt. Eine Rekonstruktion und systematische Untersuchung der gesamten Sammlung wurde bisher nicht unternommen. Neben zwei umfangreichen Bänden mit Tastenmusik umfasst die Sammlung 25 zwischen 1758 und 1776 in Wien aufgeführte Opern (in Partitur oder Klavierauszug), deren Auswahl den Niedergang der Opera seria in den 1760er Jahren dokumentiert. Das jüngste Werk dieser Art fällt in das Jahr 1765, danach folgen im italienischen Fach ausschließlich Opere buffe. Fünf Opéras-comiques bilden die ältesten und jüngsten Stücke der Sammlung. Dazu kommt über ein Dutzend einzelner Sopran-Arien und Duette in Partitur, teilweise zusätzlich in Stimmen, das als Studien- und Aufführungsmaterial diente.
An die philologische Untersuchung knüpfen sich Fragen von allgemeiner Relevanz. Wie weit reicht die Notenzirkulation in Wien im Bereich Oper? Gibt es vergleichbare Zeugnisse von Sammel- und Singleidenschaft auch in der aufstrebenden Zweiten Gesellschaft? Und was verrät die Tatsache, dass sich das Studienmaterial auf Figuren der Opera seria beschränkt, über die Art der Identifikation einer Prinzessin mit den von ihr verkörperten Figuren? Was hinderte Elisabeth, trotz ihrer anhaltenden Liebe zur zeitgenössischen Oper auch Charaktere aktueller Buffoopern zum eigenen Vergnügen singend zu interpretieren?
Linus Bickmann (Berlin): Dramaturgie des Metamelodrammas
Indem es den Opernbetrieb und dessen Protagonisten in parodistischer Absicht selbst zum Gegenstand des Bühnengeschehens machte, manifestierte sich mit dem Genre des Metamelodrammas ein selbstreflektiver Rekurs auf die Kunstform der Oper, dessen Kontinuität vom Beginn des 18. Jahrhunderts bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts reichte.
Unabhängig von der Heterogenität der im Genre versammelten Gattungen (z.B. intermezzi, drammi giocosi, farse) lassen sich für die zahlreichen Werke der humoristischen Selbstbespiegelung der Oper gemeinsame dramaturgische Aspekte benennen. So hatte die karikierende Darstellung von Operngenese und Opernprobe eine in vielerlei Hinsicht unkonventionelle intreccio-Gestalt zur Folge, etwa indem der Blick hinter die Kulissen dem Zuschauer die Idee der Teilhabe an einem Handlungsgeschehen in statu nascendi zu vermitteln vermochte.
Die Möglichkeiten der finalen Gestaltung der Werke verdienen hierbei eine besondere Betrachtung, tritt in ihnen doch eine Problematik hervor, die der Dramaturgie des Metamelodrammas per se eingeschrieben ist: In ihnen dominiert mit der intendierten Darbietung der drameninhärent in Entstehung begriffenen bzw. geprobten Oper ein Handlungsverlauf, dessen Zielpunkt zumeist außerhalb des vorgestellten Dramas liegt.
Weitere paradoxe Konstellationen sind für die Dramaturgie des Metamelodrammas bestimmend. Gerade die für die Selbstparodie der Oper implizite Spannung zwischen der Darstellung eines fiktiven Probengeschehens und der vom Publikum im Theatersaal real erlebten Aufführung eröffnete Librettisten und Komponisten immer wieder einen Freiraum, innovative Formen der Durchkreuzung von Handlungs- und Aufführungsraum zu gestalten.
Dabei ist im Hinblick auf die Chronologie der Werke weniger eine zunehmende Komplexität der metathetralen Strategien auszumachen, als vielmehr deren beständige Variation. Vermittels der musikalischen Strategien der Parodie entfaltet sich das Potential einer als innovativ zu bestimmenden Dramaturgie, streifen einzelne Werke und Szenen doch bisweilen die Schwelle zum absurden Musiktheater.
Iris Winkler (Ingolstadt): »Demetrio« - Giovanni Simone Mayrs letzte Oper auf einen Text von Metastasio
Exemplarisch wird die Rezeption Metastasios im 19. Jahrhundert in Italien dargestellt, die Demetrio-Aufführungen bis hin zu Mayrs Oper in Turin untersucht und die literarische wie musikalische Konzeption der Oper Mayrs anhand der Quellen aufgezeigt und auch Mayrs Rezeption in Turin untersucht. Die Oper Demetrio stellt in Mayrs Opernschaffen ein Spätwerk dar, aufgeführt in Turin am 27. Dezember 1823: »DEMETRIO / DRAMMA PER MUSICA / DA RAPPRESENTARSI / NEL REGIO TEATRO 01 TORINO / NEL CARNOVALE DELL'ANNO /1824/ ALLA PRESENZA / DELLE / LL. SS. RR. MM. /TORI NO / Presso ONORATO DEROSSI Stamp. e Lib. dei R. Teatro«.
Nach 1825 widmet sich der Komponist vornehmlich der Kirchenmusik. Gerade diese Oper greift auf eine Vorlage der musikalisch längst vergangenen Opera seria zurück. Welche Intentionen hinter der Konzeption stehen könnten und wie Mayr mit der Vorlage und der Umsetzung der Vorlage umgeht, wird im kulturgeschichtlichen Zusammenhang thematisiert.
Diana Blichmann (Rom): »Quando succede qualche zuffa spaventosa qui si fa gran fracasso«. Unterschiede metastasianischer Opernaufführungen in Rom und Venedig (1726-1730)
Pietro Metastasio war von 1727 bis 1730 an einem der bedeutendsten Opernhäuser im Mittelmeerraum, dem römischen Teatro delle Dame, als Librettist tätig, für das er u. a. die Drammi per musica Catone in Utica (1728), Ezio (1729), und Semiramide riconosciuta (1729) verfasste. Die drei Operntexte waren von vornherein auch für Inszenierungen im venezianischen Teatro di San Giovanni Grisostomo vorgesehen. Einmal ganz abgesehen von poetischen und musikalischen Varianten unterscheiden sich diese Opernaufführungen auch im Hinblick auf ihre Bühneneffekte.
Das Teatro di San Giovanni Grisostomo war im frühen 18. Jahrhundert für wunderbare und verblüffende Aufführungen bekannt. In den späten 1720er Jahren setzte der Impresario, Domenico Lalli, jedoch mehr auf poetische und musikalische Qualität, besonders aber auf die virtuose Kunst des Singens: Antonio Conti berichtet im Jahre 1728 dort einem »concert a voix seule« beigewohnt zu haben.
Das unter Antonio Alibert in Via Margutta errichtete römische Opernhaus mag diesem gesangstechnischen Prunk wenig nachgestanden haben. Doch lässt sich dank der zwischen 1726 und 1729 erhaltenen Rechnungsbücher sagen, dass die Eigentümergesellschaft des Teatro delle Dame bereit war, außer für die Sänger, Librettisten und Komponisten auch für extravagante Bühnenereignisse stattliche Summen auszugeben: Bühnenmusiker, Triumphmärsche, Schreckens- und Gefechtszenen waren feste Bestandteile der Drammi per musica.
Die beginnende Finanzkrise des Teatro di San Giovanni Grisostomo und die immensen Ausgaben, die man für das Engagement Carlo Broschis (Farinelli) tätigte, sind, vergleichsweise zu den oben genannten im römischen Teatro della Dame dargebotenen Metastasio-Opern, nur zwei Gründe für die begrenzten Bühneneffekte des Grimani-Theaters. Die regionale Opernästhetik, historische Hintergründe und politische Motivationen können zu den Unterschiede beider Opernhäuser beigetragen haben.
Ingrid Schraffl (Wien): »Italienische Opera buffa auf der Wiener Bühne (1763-1773)«: Präsentation des Forschungsprojekts
Im Mai 2009 wurde unter der Leitung von Prof. Dr. Michele Calella das vom österreichischen FWF finanzierte Forschungsprojekt »Italienische Opera buffa auf der Wiener Bühne 1763-1773« begonnen (zunächst an der Universität für Musik und Darstellende Kunst Wien, ab Frühjahr 2010 am Musikwissenschaftlichen Seminar der Universität Wien angesiedelt).
Das Projekt beinhaltet eine genaue Untersuchung der aus Italien nach Wien importierten Opere buffe mit dem Ziel, die in Wien vorgenommenen Änderungen zu erfassen und zu analysieren, um so einen Beitrag zum für die Oper vor allem des 18. Jahrhunderts so bedeutenden Thema der Bearbeitungspraxis zu liefern.
Präsentation des Forschungsprojekts:
Das Wiener Opera-buffa-Repertoire im Zeitraum von 1763 bis 1773 bestand zu etwa 70% aus italienischen »Importprodukten«. In Wien – wie in der Opernpraxis des 18. Jahrhundert üblich - wurden diese aus Italien stammenden Opern bearbeitet, um sie an die lokalen Aufführungsbedingungen, vor allem an die jeweilige Sängerbesetzung anzupassen. Im Wiener Opera-buffa-Repertoire des untersuchten Zeitraums sind die unterschiedlichsten Bearbeitungsarten zu anzutreffen. Nach einer allgemeinen Präsentation des Projektes soll anhand ausgewählter Beispiele ein Einblick in das breite Spektrum der angewandten Bearbeitungsvarianten geboten werden.
Martina Grempler (Wien): »Italienische Opera buffa auf der Wiener Bühne (1763-1773)«: Zur Praxis der Finalbearbeitungen
Im Mai 2009 wurde unter der Leitung von Prof. Dr. Michele Calella das vom österreichischen FWF finanzierte Forschungsprojekt »Italienische Opera buffa auf der Wiener Bühne 1763-1773« begonnen (zunächst an der Universität für Musik und Darstellende Kunst Wien, ab Frühjahr 2010 am Musikwissenschaftlichen Seminar der Universität Wien angesiedelt).
Das Projekt beinhaltet eine genaue Untersuchung der aus Italien nach Wien importierten Opere buffe mit dem Ziel, die in Wien vorgenommenen Änderungen zu erfassen und zu analysieren, um so einen Beitrag zum für die Oper vor allem des 18. Jahrhunderts so bedeutenden Thema der Bearbeitungspraxis zu liefern.
Zur Praxis der Finalbearbeitungen:
Bei den Wiener Aufführungen wurden in zahlreichen Fällen auch Änderungen bei den Ensemblenummern vorgenommen und hier insbesondere die Schlussfinali ersetzt oder bearbeitet, wobei der Operndirektor Florian Leopold Gassmann eine zentrale Rolle einnahm. Teilweise kam es zu einer Auflösung der traditionellen finalen Nummernfolge (Liebesduett – die Handlung klärendes Rezitativ – Coro) und aus einem kurzen abschließenden Chor wurde durch Hinzufügung neuer Teile ein komplexes Ensemble entwickelt.
Die unterschiedlichen Möglichkeiten der Bearbeitungspraxis hinsichtlich der Finali sollen an ausgewählten Beispielen aus dem Wiener Repertoire wie Antonio Sacchinis La contadina in corte, Niccolò Piccinnis Lo sposo burlato oder Giuseppe Scolaris La cascina näher analysiert werden.
Sonja-Maria Welsch (Rom): Nymphen, Nixen, Elementargeister. Rheinromantik in der italienischen Oper des ausgehenden 19. Jahrhunderts am Beispiel der »L oreley« von Alfredo Catalani.
Der Rhein als Symbol deutscher Romantik. Dieser Topos gilt nicht erst seit den Opern Richard Wagners. Ausgangspunkt ist vielmehr die literarische Epoche der Romantik, die, in sich alles andere als homogen, durch Mittelalterbegeisterung und nationale Identitätssuche stark zu einer Mythenbildung des Rheins beigetragen hat. Etwa fünfzig Jahre später greift in Italien die Mailänder Künstlergruppe der Scapigliatura in Anlehnung an die deutsche Romantik erneut zu mythisch-märchenhaften Stoffen aus dem Norden. Der Komponist Alfredo Catalani ist dabei einer der wichtigsten musikalischen Vertreter der Scapigliatura. 1854 in Lucca geboren und im Alter von nur 39 Jahren in Mailand gestorben gehörte Catalani einer jungen Komponistengeneration an, die zwischen den grandiosen Opernerfolgen von Giuseppe Verdi und später Giacomo Puccini einen eigenen Weg zwischen Opposition und Innovation zu beschreiten versuchte. Die Musik und Bühnendramaturgie Richard Wagners, dessen Oper Lohengrin 1872 am Teatro Comunale in Bologna zum ersten Mal in Italien aufgeführt wurde, mag dabei ein Katalysator gewesen sein, so ist sein Einfluss auf die Werke der italienischen Komponisten nach 1870 unbestritten. Dennoch reicht der Ursprung für die Verwendung romantischer Themen und Motive weiter zurück. Neben Opern wie beispielsweise Der Freischütz von Carl Maria von Weber (1821) werden die phantastischen und märchenhaften Sujets vor allem durch das französische Ballett, dessen Tänzer und Choreographen von Frankreich kommend nach Italien reisen, transportiert.
Zunächst unter dem Titel Elda gelangte Catalanis zweite Oper 1880 am Teatro Regio in Turin zur Uraufführung. Als textliche Vorlage für das Libretto wurde das Drama Loreley von Emanuel Geibel (1815-1884) ausgewählt. In Zusammenarbeit mit dem Librettisten Angelo Zanardini erfolgte Jahre später eine Umarbeitung der Oper, die seither den Namen Loreley trägt und 1890 zum ersten Mal ebenfalls in Turin aufgeführt wurde. Doch nicht der Titel allein und die sagenumwobene Gestalt der Loreley machen die Romantizität des Werkes aus. Vielmehr soll eine musikalische und dramaturgische Analyse die Verwendung und Behandlung der genannten Topoi in den Mittelpunkt stellen.
Amrei Flechsig (Hannover): »Leben mit einem Idioten«: Eine multiperspektivische Analyse als Versuch einer kulturgeschichtlichen Einordnung
Kulturgeschichtliche Zugänge zur Musikwissenschaft standen und stehen in den letzten Jahren immer wieder zur Debatte. Am Beispiel von Alfred Schnittkes Oper »Leben mit einem Idioten« (1992) nach einer Erzählung von Viktor Erofeev wird der Versuch einer kulturgeschichtlich orientierten Analyse unternommen. Zu diesem Zweck wird die Oper nicht nur in den musikhistorischen Kontext eingeordnet, sondern eine Untersuchung aus mehreren unterschiedlichen Perspektiven vorgenommen, die jeweils andere kulturelle Zusammenhänge beleuchten.
Alfred Schnittkes Oper erscheint als geradezu idealer Untersuchungsgegenstand für eine derartige Analyse, da sich in dem als eine Art Rückblick auf die sowjetische Zeit angelegten Werk zahlreiche, zum Teil grotesk verfremdete kulturpolitische und musikalische Anspielungen nachweisen lassen. Dabei sind einige Gestaltungsmittel aus der russischen Musiktradition ableitbar, andere wiederum vergleichbar mit parallelen Entwicklungen in der russischen Kunst und Literatur seit den 1970er Jahren. Inhaltlich greifen Schnittke und Erofeev mit dem Thema des „Idioten“ zudem auf eine in der russischen Volkskultur tief verwurzelte Narren-Tradition zurück, deren Herausarbeitung wesentliche Elemente zum Verständnis der Oper beisteuert.
Hinzu kommen zwei weitere Interpretationsebenen: Erstens bietet sich eine religiöse Interpretationsebene an, ausgehend von den inhaltlichen Motivkomplexen einer grotesk verkehrten Passionsgeschichte und dem Motivkomplex eines Einbruchs des Bösen in die Welt. Zweitens drängt sich durch die mögliche Deutung der Idiotengestalt als groteske Leninfigur eine zusätzliche (kultur-)politische Interpretationsebene geradezu auf. In ihrer Synthese ergeben die unterschiedlichen Perspektiven und Interpretationsebenen ein differenziertes Gesamtbild der Oper, das erst ihre tiefere Bedeutung im kulturgeschichtlichen Kontext offenbart.
Stephan Mösch (Berlin): Vom Umgang mit dem Überschuss. Intermediale Strategien bei Peter Eötvös, Johannes Kalitzke und Aribert Reimann
Trotz höchst disparater ästhetischer Positionen tendiert das neueste Musiktheater zum Umgang mit (Welt)literatur. Selten geht es dabei um Vertonung bzw. Transformation im tradierten Sinn. Vielmehr dominiert ungebremste Neugier an intermedialer Verortung von Klang- und Textlandschaften. Das Referat fragt nach solchen Wechselverhältnissen am Beispiel von drei führenden Musiktheater-Komponisten unserer Zeit: Eötvös, Kalitzke und Reimann. Untersucht werden heterogene Ansätze und Perspektiven zwischen Konstruktion und Emotion, (post)seriellem Denken und Ausdrucksästhetik, Musik-, Wort- und Bilddramaturgie.